Lernen von anderen: BYOD am Kolleg St. Thomas in Vechta

BYOD-Vechta

 

Wenn drei Lehrkräfte des Anton die Landesgrenze nach Niedersachsen überqueren, wenn dort, in Vechta, neun Lehrkräfte und die Schulleitung sich einen ganzen Tag Zeit für die Besuchenden aus dem Münsterland nehmen – dann muss ein wichtiger Termin anstehen! Und für uns am Anton ist dieser Besuch in Vechta eminent wichtig – denn wir wollen von anderen lernen: Dort, wo wir mit unseren Schülerinnen und Schülern gerne hin möchten, ist das St.-Thomas-Kolleg in Vechta nämlich schon angekommen. Mit einer kleinen Reisegruppe (Meike Klingauf, Alexander Kallenbach, Christian Weyers) haben wir das herzliche Angebot gerne angenommen, die Schule zu besuchen, die uns in Größe, Schüler_innenstruktur und ländlicher Lage ganz ähnlich ist. Wir durften die Schüler_innen und Lehrkräfte im BYOD-gestützten Unterricht beobachten und gerne erzählten diese von ihren Erfahrungen, beantworteten unsere Fragen und diskutierten mit uns ihre Vorgehensweisen.
Der Tag beginnt für uns aufregend, denn direkt um 10 Uhr soll sich nach einem kurzen Kennenlernen zeigen, ob BYOD im Unterricht wirklich funktioniert. Gespannt besuchen wir eine 7. Klasse, Matheunterricht steht auf dem Plan: Und in den vergleichbar großen Klassen nutzen alle Lernenden das digitale Endgerät, welches sie sich individuell ausgesucht haben. Auf den ersten Blick kann man schon den Eindruck bekommen, sich in einem etwas durcheinander geratenen Gerätezoo zu befinden. Tastaturen, die gerade nicht gebraucht wurden, liegen herum, Tablets sind mehr oder weniger schräg aufgestellt und Laptopbildschirme sind vielfach zu sehen. Und alle Lernenden bearbeiten ein digitales Arbeitsblatt, das die Lehrerin mit ihnen in der schuleigenen Cloud geteilt hat. Die Lernenden erstellen ihre Lösungen, laden sie hoch und die Lehrerin teilt die Dokumente über die Präsentationsmedien zur Besprechung. Wir sind begeistert, aber wir wollen uns noch überzeugen, ob wir nicht in einer Musterklasse gelandet sind. Im Deutschunterricht der EF das gleiche Bild: Keine Lernzeit geht durch das Verteilen von Arbeitsblättern verloren. Keine schlecht lesbaren Overhead-Folien werden ausgeteilt. Alle Lernenden arbeiten digital unterstützt, in ihrem Tempo und auf ihrem Gerät!


Und wieder sind die Geräte vollkommen unterschiedlich: Windows, Android, iOS, Tablets, Convertibles, Laptops – alles ist vertreten. Die Schüler_innen berichteten aber, dass sie nun Geräte haben mit solchen Features, die sie für sich als wichtig empfinden, zum Beispiel mit einer Maus oder einem externen digitalen Schreibpad, oder einem Stift, der besonders „griffig“ zu ihren Händen passe. Am Kolleg St. Thomas gibt es die Möglichkeit, sich an einer Sammelbestellung zu beteiligen, und mit diesen Geräten sind die Schüler_innen zufrieden, besonders wenn im Nachhinein noch das eine oder andere für sich angepasst werden kann, wie die Art des Stiftes. Welches Gerät man nun letztendlich habe, so die Schüler_innen einer Klasse 8, sei für andere unwichtig. Wenn es für einen selbst funktional sei, könne man seine Entscheidung vertreten und es gäbe keinen Grund für andere, etwa darüber zu spotten. Und falls doch, sei dies ein Grundproblem der Klassengemeinschaft und nicht ein Argument gegen das BYOD-Konzept.
Natürlich wollten wir wissen, wie die Lernenden lernen, ihre Geräte sinnvoll einzusetzen und welche Anwendungen für sie wichtig sind: Die Schüler_innen erzählten uns, wie sie nach und nach die für sich beste Arbeitsweise entwickelt haben, zum Beispiel, wofür und in welcher Intensität sie nebenbei noch einen Collegeblock einsetzen. Auch hier herrscht Freiheit, alle Lernenden entscheiden selbst, welcher Grad an Digitalität zu ihrem Lerntyp passt. Klasse finden sie aber alle durchweg, dass es nicht mehr möglich sei, Unterlagen zu Hause zu vergessen, denn man habe mit dem Gerät automatisch immer alle Unterlagen und Hausaufgaben dabei, oder könne über die schuleigene Lernplattform, auf der alles gespeichert sei, darauf zugreifen. Dabei wurde uns klar, dass die digitale Heftführung, damit sei hier gemeint, dass alle Schüler_innen gleichzeitig das gleiche von der digitalen Projektionsfläche abschreiben, wirklich allerhöchstens der Beginn des Einsatzes der Geräte ist. Wir haben viel mehr beobachten können, wie Arbeitsblätter individuell digital heruntergeladen und bearbeitet wurden, für die persönliche Rückmeldung durch die Lehrkraft oder durch jemanden aus der Klassengemeinschaft digital und vor allem bewusst mittels eines Freigabeschlüssels zur Verfügung gestellt wurden oder wie Schüler_innengruppen individuelle Arbeitsergebnisse zu einem größeren Ganzen zur Präsentation zusammengeführt haben. Ein kleines digitales Quiz sorgte für Auflockerung zwischendurch. In den Pausen dürfen dort übrigens immer zwei Schüler_innen im Raum bleiben, sodass die Unterrichtsräume nicht abgeschlossen zu werden brauchen. Besonders bei Kälte sei dies ein sehr beliebter Dienst für die Klasse.
Nach oft drei Jahren BYOD-Erfahrung sind die Lernenden am St.-Thomas-Kolleg schon Expert_innen und wir wollten wissen, welches Verbesserungspotenzial es aus den Augen der Beteiligten heraus gibt: In der Nutzung der eigenen Geräte wünschen sich die Schüler_innen des Kolleg St. Thomas mehr Einheitlichkeit in allen Fächern. Nicht jede Lehrkraft schöpfe die Möglichkeiten, die sich durch das Vorhandensein von Geräten und Infrastruktur ergäben, aus. Nun, auch dort gilt natürlich das Prinzip der pädagogischen Freiheit, nach der alle Lehrkräfte nach eigenem Ermessen entscheiden, wie viel und welche Art der Digitalität gerade einen Zugewinn zu erwarten lässt und sich der Einsatz digitaler Technik lohne. Wichtiger noch, so wurde im anschließenden Austausch mit dem Schulleiter Herrn Brockmeyer und Informatiklehrer Herrn Richter klar, gehöre es auch zu dem Menschenbild, welches das Kolleg St. Thomas vertrete, dass eben nicht Einheitlichkeit für alle einheitlich gut ist, sondern, dass Individualität und das Zurechtkommen aller in der Vielfalt erst die Ausbildung in der Schule zum nachhaltigen Erfolg werden lässt.
Auf der Rückfahrt lassen wir unsere Eindrücke wirken: Für uns hat sich durch den Besuch des Kolleg St. Thomas der Horizont des BYOD-Konzepts sehr erweitert. Wir haben BYOD live gesehen und konnten uns davon überzeugen, dass das Modell lernwirksam ist. Durch die digitale Vernetzung von Menschen ergeben sich analoge gegenseitige Besuche, die den Schulgemeinschaften Begleitung auf ihren Wegen in die Digitalisierung bieten. Wir wünschen uns, mit dem Kolleg St. Thomas in gutem Kontakt zu bleiben.